Dürfen wir Verantwortung an Maschinen delegieren?

Redakteur: Franz Graser |

Autonomes Fahren, Roboter in der Fabrik, Algorithmen in der Medizin: Der Philosoph Julian Nida-Rümelin über das Verhältnis von Technik und Ethik.

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Professor Julian Nida-Rümelin: Der ehemalige Kulturstaatsminister lehrt Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und beschäftigt sich unter anderem mit den Grenzbereichen zwischen Technik und Ethik.
Professor Julian Nida-Rümelin: Der ehemalige Kulturstaatsminister lehrt Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und beschäftigt sich unter anderem mit den Grenzbereichen zwischen Technik und Ethik.
(Bild: Copyright: (c) Bernd Euring 2010)

Unter dem Motto „Philosophie trifft Elektronik“ setzte die Keynote von Professor Julian Nida-Rümelin die Reihe interdisziplinärer Vorträge beim ESE Kongress fort, die 2015 mit dem Beitrag der Juristin Elke Luise Barnstedt vom Karlsruher Institut für Technologie ihren Anfang nahm.

Für Professor Nida-Rümelin, der an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität lehrt, sind technische Entwicklungen und die Kultur miteinander verwoben. Als Beispiel nennt er den griechischen Mathematiker und Ingenieur Archimedes (um 287 - 212 vor Christus), der unter anderem im Bereich der Hydraulik (sogenannte Archimedische Schraube) und bei den Hebelgesetzen Erstaunliches leistete.

Archimedes, so Nida-Rümelin, entwarf sogar Automaten, die in der Lage waren, bei einem Bankett Wein nachzuschenken. Es ist leicht auszumalen, dass manche technischen Entdeckungen weitaus früher gemacht worden wären, hätten sich die Erfindungen des Archimedes durchgesetzt. Warum aber entfalteten diese Entwicklungen so wenig Wirkung? „Diese technische Extrembegabung fand in einer Kultur statt, die dafür wenig übrig hatte“, erklärt der Münchner Philosoph.

Wie hängen nun aber Technik und menschliche Verantwortung zusammen? Nida-Rümelin verwies hier auf den deutsch-amerikanischen Philosophen Hans Jonas (1903 - 1993), der in seinem Hauptwerk „Das Prinzip Verantwortung“ eine pessimistisch gestimmte Technik-Philosophie entwarf. Jonas gebrauchte hierfür die Formel „Handle so, dass durch deine Handlungen menschliches Leben auf diesem Planeten nicht gefährdet wird.“

Jonas' Gedanke hat unter anderem in die Bewertung der Gentechnik Eingang gefunden. Aber auch im Hinblick auf moderne Trends wie den Transhumanismus (der die menschliche Existenz unter anderem durch technische Implantate zu verbessern sucht) ist er hochaktuell. Nida-Rümelin sieht solche Entwicklungen durchaus nicht nur negativ, aus seiner Sicht ist es jedoch wichtig, die „conditio humana“, also die menschliche Natur, nicht aus dem Blickfeld zu verlieren. Er befürwortet es, neue Techniken zu verfolgen, aber es dürfe nicht dazu führen, „dass alles ins Rutschen kommt“.

Verantwortung heißt Rechenschaft ablegen

In diesem Zusammenhang kommt der Begriff der Verantwortung ins Spiel. Der Terminus selbst ist laut Nida-Rümelin zwar erst runde 300 Jahre alt, das Prinzip ist jedoch bereits in der „Nikomachischen Ethik“ des griechischen Philosophen Aristoteles (384 bis 322 vor Christus) enthalten. Verantwortung zu übernehmen, bedeutet hier gegenüber anderen – möglicherweise gegenüber einer höheren Instanz – Rechenschaft für seine Handlungen abzulegen. Und dies setzt eine zutief menschliche Fähigkeit voraus: die Fähigkeit zu deliberieren, also zu überlegen und zu bedenken.

Maschinen seien dazu nicht in der Lage, urteilt der Münchner Philosoph. Nida-Rümelin erteilt damit den Verfechtern einer sogenannten „starken KI“ eine Absage, die keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen den Kapazitäten von Menschen und Computern sehen. Nach deren Auffassung könne praktisch jedwede Entscheidung an einen Algorithmus ausgelagert werden.

Dies verneint Nida-Rümelin vehement. Der Philosoph stellt sich auf die Seite der Verfechter der sogenannten „schwachen KI“, die die technischen Fähigkeiten von Computern zwar anerkennen, aber dennoch eine Grenze zwischen den den Möglichkeiten von menschlichen und maschinellen Intelligenzen ziehen.

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