Kommentar von Matthias Berlit, Inform KI ist mehr als Machine Learning

Von Matthias Berlit Lesedauer: 5 min |

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Wollen Unternehmen ihre geschäftlichen Herausforderungen mit Künstlicher Intelligenz (KI) lösen, assoziieren sie KI oft mit Machine Learning. Damit verbessern sie zwar ihre Datenlage und erkennen Zusammenhänge oder Anomalien. Für eine optimale Entscheidungsfindung brauchen sie aber auch Operations Research, eine weitere KI-Disziplin.

Der Autor: Matthias Berlit ist Geschäftsführer der Inform GmbH
Der Autor: Matthias Berlit ist Geschäftsführer der Inform GmbH
(Bild: melanie fredel)

Um Machine Learning ist in den vergangenen Jahren ein regelrechter Hype entstanden, der dazu geführt hat, dass maschinelles Lernen inzwischen regelmäßig mit Künstlicher Intelligenz gleichgesetzt wird. Unternehmen, die ihre Herausforderungen im Tagesgeschäft mithilfe von KI lösen wollen, konzentrieren sich daher häufig auf diesen Teilbereich von KI und schränken ihr Toolset dadurch ungewollt ein, anstatt umfassend zu überprüfen, mit welchem Werkzeug sie ihre Probleme am besten angehen können. Denn Machine Learning ist vor allem gut darin, Zusammenhänge oder Anomalien in großen Datenmengen aufzuspüren, hilft jedoch nicht bei dringlichen, komplexen Planungsentscheidungen.

Damit eignet sich Machine Learning nur in bestimmten Einsatzbereichen, etwa bei der Überwachung von Maschinen und Anlagen. Hier können Unternehmen mit Sensoren eine umfangreiche Datenbasis zusammentragen, die beispielsweise Temperaturen, Flüssigkeitsstände, Drehzahlen, Vibrationen und den Geräuschpegel umfasst. Aus diesen Daten erlernen die Algorithmen den Normalzustand der Maschinen und Anlagen und sind anschließend in der Lage, Abweichungen wie zu hohe Temperaturen oder starke Vibrationen zu erkennen. Sie können dann Mitarbeiter benachrichtigen oder die Maschine automatisch abschalten.

Machine Learning ist nur so gut wie das Trainingsmaterial

Natürlich gibt es viele weitere wertschöpfende Anwendungsfälle: Auch bei Lieferzeitenprognosen in der Bestandsplanung oder bei der Segmentierung von Kunden im Marketing und Vertrieb leistet Machine Learning gute Arbeit. An seine Grenzen gelangt es hingegen, wenn in einem dynamischen Geschäftsumfeld schnell gute operative Entscheidungen getroffen werden müssen. Das ist beispielsweise bei der Optimierung von Logistiknetzwerken und der Produktionsplanung der Fall, die täglich komplexe Dispositionsentscheidungen erfordern. Hier fehlt Unternehmen die geeignete Datenbasis für das Training der Algorithmen. Sie könnten diese lediglich mit menschlichen Entscheidungen füttern, die jedoch nur selten optimal sind, weil das komplexe Geflecht aus verschiedenen Parametern und Abhängigkeiten für Menschen nicht zu überblicken ist.

Ein Logistiknetzwerk etwa erstreckt sich häufig über tausende Routen. Da die Planer neben den Kosten, Terminen und Kapazitäten noch viele andere Faktoren wie die Tarife und Termintreue verschiedener Spediteure im Blick haben müssen, sind optimale – also situativ bestmögliche – Ergebnisse eigentlich ausgeschlossen. Ähnlich sieht es in der Produktion des Maschinen- und Anlagenbaus aus, wo eine Vielzahl von Rohstoffen und Materialien oft in mehr als zehntausend Arbeitsschritten zusammengeführt wird – bei begrenzten Produktionskapazitäten und unter Berücksichtigung von Arbeitszeiten und Auftragsprioritäten. Mit menschlichen Entscheidungen trainierte Algorithmen können in solchen Szenarien keine besseren Ergebnisse liefern als der Mensch, weil sie nur so gut sind wie ihr Trainingsmaterial.

Operations Research testet alternative Handlungsszenarien

Die Komplexität vieler Planungsentscheidungen lässt sich allerdings mit Operations Research beherrschen, einer weiteren KI-Disziplin, die weit weniger im Rampenlicht steht als Machine Learning. Hinter Operations Research verbergen sich mathematische Entscheidungsmodelle und Optimierungsalgorithmen, die komplexe Sachverhalte mithilfe heuristischer und mathematischer Methoden in Sekundenschnelle in unzähligen Szenarien durchspielen und konkrete Entscheidungen berechnen können, die zu einem optimalen Ergebnis führen. So gelingt es Unternehmen beispielsweise, ihre Fahrzeugflotte optimal auszulasten und zugesagte Liefertermine einzuhalten beziehungsweise für jeden Fertigungsauftrag alle notwendigen Ressourcen zum richtigen Zeitpunkt bereitzustellen.

Operations Research erlaubt Unternehmen auch ein Feintuning auf mehrere Ziele hin – in der Logistik beispielsweise dahingehend, dass neben pünktlichen Lieferungen eine gute Balance aus Kosten und Umweltfreundlichkeit erreicht wird. Zudem sind sie in der Lage, ihre Prozesse robuster gegenüber Störungen zu machen, weil die Modelle binnen Sekunden mögliche Handlungsalternativen simulieren und die bestmöglichen aufzeigen können. Verspätet sich eine Rohstofflieferung oder muss ein wichtiger Auftrag kurzfristig eingeschoben werden, planen sie die vorhandenen Rohstoffe und die verfügbaren personellen und maschinellen Produktionskapazitäten um.

Unternehmen brauchen beide Werkzeuge

Sowohl Machine Learning als Operations Research haben klare Stärken und lösen unterschiedliche Probleme. Machine-Learning-Algorithmen lernen aus den zur Verfügung stehenden, in der Regel sehr reichhaltigen Daten und erkennen Muster, selbst wenn die Zusammenhänge zwischen den Daten nicht linear sind. Die Verfahren sind meist nicht auf ein spezifisches Problem beschränkt und eignen sich für eine ganze Problemklasse – einem Algorithmus zur Auswertung von Sensordaten ist es letztlich egal, ob es sich um eine Produktionsmaschine, den Motor eines Fahrzeugs oder ein Windrad handelt.

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Im Unterschied dazu eignet sich Operations Research für sehr individuelle Problemstellungen, die durch gut strukturierte Situationen mit linearen Zusammenhängen gekennzeichnet sind und sehr komplexe Lösungen erfordern. Die Verfahren nutzen vor allem Wissen und Annahmen über Geschäftsprozesse wie Mengen- und Zeitaufwände, Kapazitäten und Auslastungen, um ein Modell der Realität zu erstellen und die Auswirkungen von veränderten Parametern zu überprüfen. Das hilft bei komplexen Planungsaufgaben und der agilen Reaktion auf unvorhergesehene Ereignisse, während Machine Learning eher dazu dient, versteckte Muster mit der Zeit immer besser zu erkennen.

Hybrider KI-Ansatz vereint die Stärken unterschiedlicher Technologien

Es gibt allerdings auch Anwendungsfälle, in denen eine Kombination aus daten- und wissensgetriebener KI-Verfahren die besten Ergebnisse liefert. Machine Learning zählt zu ersteren, während letztere neben Operations Research zum Beispiel auch Fuzzy Logic meint. Ein typischer Einsatzbereich ist die Betrugserkennung und -prävention in der Finanzbranche. Auf der einen Seite spielt Machine Learning eine wichtige Rolle, um aus Transaktionsdaten Betrugsmuster zu filtern, zu erlernen und dann zu sperren. Wären Banken und andere Finanzinstitute aber darauf angewiesen, auf dieses Lernergebnis zu warten, würden mitunter Wochen ins Land ziehen und der Schaden wäre unermesslich. Stattdessen sind die wissensgetriebenen Verfahren unerlässlich, um in Echtzeit Daten aus unterschiedlichen Quellen hinsichtlich ihres Betrugsrisikos zu bewerten, eine verdächtige Transaktion zu sperren und das neue Betrugsmuster schnell in eine anwendbare Regel zu übersetzen. Ebenso vermag Machine Learning die Datenbasis für Optimierungsalgorithmen zu verbessern. Beispielsweise profitieren Algorithmen für die Bestandsoptimierung oder die Optimierung von Produktionsplänen, von maschinell erlernten Lieferzeitenprognosen, die genauer sind als die Daten, die mit den in Stammdaten hinterlegten Lieferzeiten ermittelt wurden.

Für Unternehmen ist es deshalb wichtig, sich bei der Lösung ihrer komplexen Herausforderungen nicht von vornherein auf Machine Learning oder Operations Research festzulegen oder gar wegen eines Hypes auf eine festgelegte Lösung zu setzen. Stattdessen sollten sie beide Werkzeuge im Repertoire haben und gezielt in den passenden Anwendungsfällen einsetzen, bei Bedarf auch im Zusammenspiel

Dieser Beitrag erschien zuerst auf unserem Partnerportal Bigdata-Insider.de..

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