Jenseits des Hypes – Das Potenzial der Blockchain-Technologie

Autor / Redakteur: Mirco Lang / Stephan Augsten

Blockchains machen die Welt demokratischer. Sie erfinden die IT-Landschaft neu, machen Manager überflüssig – ach was, ganze Staaten! Und Banken? Braucht kein Mensch mehr. Zur Abwechslung betrachten wir Blockchain-Technologien einmal kritisch bis nüchtern.

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Blockchains bieten großes Potenzial, doch etliche Projekte stehen dabei zwangsläufig auf wackeligen Füßen.
Blockchains bieten großes Potenzial, doch etliche Projekte stehen dabei zwangsläufig auf wackeligen Füßen.
(Bild: gemeinfrei / CC0 )

2017 war der Tenor tatsächlich sehr euphorisch, die sich etablierende Blockchain-Technologie wurde in den Himmel gelobt, die zweite große IT-Revolution nach dem Internet. Zuerst waren es die Techies mit Netzaktivisten-Ambitionen, wahre Blockchain-Jünger, die Bitcoin & Co. als neues El Dorado auserkoren haben.

Dezentralisation, absolute Transparenz, Eindeutigkeit, geschäftliche Vereinbarungen als nicht überlistbare Algorithmen, Verschlüsselung, völlige Unabhängigkeit von zentralen Verwaltungen. Blockchains bieten in der Tat massenhaft Potenzial, um allerlei Weltprobleme zu beseitigen.

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Der Bitcoin könnte raffgierige Bankmanager und zentral gesteuerte Finanzsysteme ersetzen. Eindeutige Benutzer-IDs könnten Ausweise überflüssig machen und sichere Wahlen von zu Hause etablieren. Und jedes Produkt im Supermarkt teilt per QR-Code mit, wie jeder Bauer mit Vornamen heißt, der die Rohprodukte angebaut hat.

Mit der Zeit sprangen auch die Anzugträger auf den Zug auf, allen voran Finanzdienstleister. Intermediäre, Clearing-Stellen, Banken, die Transaktionen abwickeln? Das ließe sich doch alles in die Blockchain auslagern – und jeder eingesparte Vermittler spart wiederum bares Geld.

Schnell sah sich auch die Welt der Sharing-Economy lästiger Vermittlungsplattformen entledigt: Warum Airbnb dazwischen schalten, wenn es auch per Blockchain geht? Dasselbe bei Uber. Denn Blockchains sollen das Trustless Business ermöglichen: Statt einem Vermittler wie Uber zu vertrauen (und dafür zu bezahlen), sorgt die Kryptografie der Blockchain für Vertragssicherheit.

Die utopische Endstufe alldessen ist dann das komplett autarke, menschenlose Unternehmen auf Basis von Smart Contracts, und das gab es auch schon. Allerdings ist die Geschichte von The DAO nicht unbedingt vertrauensfördernd. Eigentlich passend für ein Trustless Business – aber dazu später.

Natürlich bieten Blockchains in der Tat enormes Potenzial, aber wenn man den Enthusiasmus ein wenig beiseiteschiebt und sich nicht mit den (bisweilen zugegebenermaßen faszinierenden) technischen Details aufhält, kommen auch Fehlschläge, Probleme, Unfälle und Banalitäten ans Licht.

Die Technologie

Beginnen wir mit der Technologie. Wenn Sie sich in die Materie einlesen, werden Sie in den ersten Stunden ungefähr gar nichts verstehen und über mehr unbekannte Wörter stolpern, als in der gesamten Grundschulzeit. Im Grunde ist eine Blockchain aber nichts weiter als eine ganz ordinäre Datenbank, verteilt auf die Rechner aller Nutzer, bei der Datensätze nachträglich nicht geändert werden können. Eigentlich genügt dieses Wissen, um sich allerlei Einsatzmöglichkeiten auszumalen. Alles Weitere sind technische Details, die lediglich für die Umsetzung interessant wären.

Smart Contracts

Smart Contracts, so komplex und teils auch kompliziert sie auch sein mögen, lassen sich ebenfalls auf einen ganz einfachen Nenner bringen: Es sind mehr oder weniger umfangreichen Wenn-Dann-Abfolgen. In der Art: "Wenn Nutzer A mit Schmerzen zum Arzt geht, dann wird er behandelt, wenn er regelmäßig Betrag X an eine Blockchain-Adresse gezahlt hat." Und da die Teilnehmer dieses Vertrags eindeutig identifizierbar sind, hier also ein Versicherter und eine Versicherungsgesellschaft, steht ein einfacher, zuverlässiger Vertrag. In der Praxis ließen sich solche Abfolgen natürlich bis ins Unendliche verfeinern und verästeln, bis die erwähnte Komplexität eintritt.

Supercomputer

Golem ist beispielsweise ein Projekt, über das Blockchain-Teilnehmer eine Art globalen Supercomputer aufbauen. Und wieder, so trivial ist die Praxis: Wie beim guten alten Filesharing mit eMule & Co., bauen schlicht unzählige Desktop-Clients ein P2P-Netzwerk auf und teilen darüber Ressourcen. Nur, dass es sich nicht wie bei eMule um Dateien und Bandbreite handelt, sondern um Rechenkapazität.

Man kann also ungenutzte CPU-Power, auch von Privatpersonen, für eigene Rechenoperationen anmieten. Das kommt vermutlich sowohl Cloud-Kunden als auch Nutzern von Großcomputern bis in die 70er Jahre bekannt vor. Neuer Wein in alten Schläuchen wäre vielleicht ein wenig hart, weil die Schläuche keine Löcher mehr haben und keine ganzen Hallen mehr füllen, aber die Neuerfindung des Rads ist es nicht. Vielleicht ist das Rad nur ein wenig dünner, billiger, verfügbarer und leichtläufiger.

Bitcoin

Zu guter Letzt ein Wort zu den technischen Fähigkeiten am Beispiel Bitcoin. Das System funktioniert – aber im Vergleich zu dem traditionellen Bankenwesen natürlich in winzigem Maßstab. Wo Bitcoin auf 10 Transaktionen pro Sekunde kommt, verspricht Visa 24.000, nur um mal eine Zahl in den Raum zu werfen.

Als wäre das nicht schon enttäuschend genug: Im Rahmen von Bitcoins Scalabity-Problem gibt es Streitigkeiten in der Community, Abspaltungen und Bitcoin-Forks wie Bitcoin Cash. So müssen sich die spätberufenen Hippies Ende der 60er in ihrer Sehnsuchtsstadt San Francisco gefühlt haben: Träume treffen auf Realität und zerplatzen, Idealismus weicht Rationalität.

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