Künstliche Intelligenz KI-Verfahren verlässlich einsetzen für Ingenieure

Von Dr. Thomas Usländer* |

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Unter KI-Engineering versteht man die systematische Entwicklung und den Betrieb von KI-basierten Lösungen als Teil von Systemen, die komplexe Aufgaben erfüllen. Das Kompetenzzentrum CC-KING will diese Disziplin voranbringen.

CC-KING schafft die Verbindung zwischen KI-Spitzenforschung und etablierten Ingenieurdisziplinen.
CC-KING schafft die Verbindung zwischen KI-Spitzenforschung und etablierten Ingenieurdisziplinen.
(Bild: Fraunhofer IOSB)

Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde. „Da ist eine KI drin“, hört man häufig salopp und fast umgangssprachlich, oftmals ohne zu hinterfragen, was dies eigentlich bedeutet. Man ist eher erstaunt oder auch etwas verwundert, wie vermeintlich treffsicher Suchanfragen im Internet beantwortet oder Kaufempfehlungen in Einkaufsportalen angeboten werden. Doch trifft dies auch für den technischen Bereich zu? Kann man sich auf Aussagen und Empfehlungen von KI-basierten Lösungen auch aus Ingenieurssicht und entsprechendem Qualitätsanspruch wirklich verlassen?

Es ist schon ein Unterschied in den möglichen Auswirkungen zwischen einer Kaufempfehlung und der Empfehlung einer KI-Komponente in einem Leitsystem einer chemischen Anlage, eine Ventilstellung zu verändern. Hier möchte der Operator auch den Grund dazu kennen und zwar gemäß seiner Begriffs- und Erfahrungswelt. Aus Engineering-Sicht stellt sich oftmals die Frage, wie leistungsfähige KI-Komponenten in eingebetteten Systemen ablaufen können unter den vorherrschenden Ressourcenbeschränkungen und eingeschränkter Konnektivität zu skalierbaren Rechenkapazitäten in einer Cloud-Umgebungen.

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Im Gegensatz zu vielen Erfolgsmeldungen über den Einsatz von KI-Methoden, insbesondere maschinellen Lernverfahren (ML), kommen diese in technischen Umgebungen zumeist noch nicht über einen prototypischen Status hinaus. Sie schaffen nicht den Übergang in den operationellen Betrieb mit all seinen Randbedingungen wir Kontrollierbarkeit, Robustheit und Wartbarkeit.

Für KI-basierte Inspektionssysteme verdeutlicht dies eine aktuelle Studie der Maddox AI. Während 70 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage KI-basierte Inspektionssysteme für serienreif halten, setzen aktuell lediglich 17 Prozent diese auch ein. Neben den hohen Kosten (56 Prozent), die den wirtschaftlichen Einsatz in Frage stellen, liegen die Gründe vor allem in der fehlenden KI-Expertise in den Unternehmen (51 Prozent) und dem hohen Aufwand für die Aufbereitung der Daten (Datenannotation).

Die Antwort ist KI-Engineering

Um das unzweifelhafte Innovations- und Optimierungspotenzial von KI-Verfahren nutzen zu können, benötigt man eine dedizierte Methodik. Wir bezeichnen diese als KI-Engineering und meinen damit die „systematische Entwicklung und den Betrieb von KI-basierten Lösungen als Teil von Systemen, die komplexe Aufgaben erfüllen.“

Um KI-Engineering genauer zu fassen und als eigenständige Disziplin voranzutreiben, hat sich in der Technologieregion Karlsruhe seit August 2020 das Kompetenzzentrum für KI-Engineering CC-KING gebildet, gefördert vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg und geleitet vom Fraunhofer IOSB, in enger Zusammenarbeit mit dem FZI Forschungszentrum Informatik und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Gemeinsam erarbeiten wir die wissenschaftlichen Grundlagen und Methoden für KI-Engineering, entwickeln Software-Werkzeuge zu deren Unterstützung und Anwendung und demonstrieren die Ergebnisse anhand von praxisnahen Anwendungsfällen vor allem aus den Domänen industrielle Produktion und Mobilität.

Das Systemverständnis ist wesentlich

Wesentlich für KI-Engineering ist das Verständnis über die Rolle der KI in IT-Systemen bestehend aus Hardware und Software-Komponenten. Es gibt selbst in der KI-Szene keine allgemein anerkannte Definition von KI. Zu vielfältig waren die Verfahren und die Erwartungen aber auch die Enttäuschungen an die KI in den letzten 60 Jahren.

Aus unserer Sicht befasst sich die KI mit der Schaffung technischer Systeme, die automatisiert kognitive und intellektuelle Aufgaben lösen können. Die Leistungsfähigkeit heutiger Rechner ermöglicht es, dass KI-Verfahren in ausgewiesenen Szenarien, z.B. bei der Objekterkennung in Bildern und Videos, deutlich effektiver und effizienter sind als der Mensch, vor allem dann, wenn Zusammenhänge und Muster in riesigen Datenmengen gelernt werden sollen.

Für das KI-Engineering sind KI-Verfahren nur in Teilen dieser technischen Systeme eingebaut, oftmals in eigenständigen Sub-Systemen, die auch im Sinne des Engineerings gesondert behandelt werden müssen (Bild 1). Sie spielen als „Enabling Systems“ in der Entwicklungsumgebung eine wesentliche Rolle, zusammen mit denen für ML-Verfahren unabdingbar notwendigen (Trainings-)Datensätze.

KI-Engineering umfasst im klassischen Sinne des Systems Engineering das Design des Gesamtsystems, da letztlich dieses die entscheidenden Performanz- und Qualitätskriterien wie z.B. Zuverlässigkeit, IT-Sicherheit und Kontrollierbarkeit erfüllen muss. Auch ist es das Gesamtsystem, das in kritischen Umgebungen ggf. von einer Prüfinstanz abgenommen und zertifiziert wird, nicht nur das KI-Verfahren selbst.

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Das Vorgehensmodell PAISE

Bild 2: Aufbau des PAISE-Vorgehensmodells für KI-Engineering
Bild 2: Aufbau des PAISE-Vorgehensmodells für KI-Engineering
(Bild: Fraunhofer IOSB)

Doch wie soll man nun vorgehen, um eine KI-basierte Lösung zu entwickeln? Eines der ersten publizierten Ergebnisse von CC-KING ist das Vorgehensmodell PAISE (Process Modell for AI Systems Engineering), das Vorgehensweisen aus der Informatik und datengetriebenen Modellbildung mit denen klassischer Ingenieurdisziplinen kombiniert (Bild 2).

KI-Engineering geht aus dem Systems Engineering hervor und adressiert das Engineering des Gesamtsystems. Wir verwenden im Englischen deshalb auch den Begriff des AI Systems Engineering. Während heute erfolgreich Methoden des Systems Engineering angewandt werden (z. B. Wasserfallmodell, V-Modell, SCRUM), um komplexe technische Systeme zu entwickeln, stellt die Verwendung von KI innerhalb solcher Systeme neue Herausforderungen an den Entwicklungsprozess:

  • Die Performanz eines KI-basierten Ansatzes lässt sich häufig nicht im Voraus einschätzen, sondern muss empirisch ermittelt werden. In vielen Ingenieurdisziplinen ist es möglich, eine Architektur für das Gesamtsystem anforderungsgemäß zu entwerfen, auf Basis von physikalischen Modellen, Erfahrungswerten und Simulationen. Bei KI-Verfahren ist das schwieriger: Wenn seltene Sonderfälle ausschlaggebend sind, können Details in der Umsetzung große Unterschiede im empirischen Verhalten bedeuten. Sie müssen deshalb häufig vorab prototypisch umgesetzt werden. Dieser Aspekt ist in PAISE im Entwicklungszyklus verankert: Die Gesamtarchitektur wird in sog. Checkpoints hinsichtlich der Anforderungen bewertet und iterativ verfeinert.
  • Datengetriebene Verfahren wie ML benötigen bereits während der Entwicklung qualitativ hochwertige Daten aus dem Betrieb. Die Qualität wird u. a. dadurch bestimmt, wie repräsentativ die zum Lernen verwendeten Daten sind. Die benötigten Trainingsdaten sollten möglichst bereits aus der in der Entwicklung befindlichen Anwendung des Systems kommen. In PAISE wird diese Herausforderung in der Datenbereitstellung berücksichtigt.

PAISE ist eine Vorgehensvorlage, die je nach den organisatorischen Rahmenbedingungen im Unternehmen angepasst werden sollte (Tailoring). Wie bei jedem Vorgehensmodell müssen die Elemente von PAISE auf den jeweiligen Anwendungsfall übertragen werden, um konkrete Handlungen daraus abzuleiten.

Die CC-KING-Werkzeuge

Zur Umsetzung von PAISE bietet CC-KING ein breites Spektrum an Software-Werkzeugen. Sie reichen von der maßgeschneiderten Nutzung gängiger ML-Frameworks, über die Integration von gängigen Datenschnittstellen, die virtuelle Erzeugung von Daten (OCTANE) bis hin zur Anpassung von ML-Modellen auf ressourcenbeschränkte Hardware-Plattformen (edgeML).

Unsere ROS-basierte Laufzeitumgebung (KI-Box) ermöglicht die effiziente Ausführung des finalen, trainierten Modells auf ressourcen¬beschränkten Plattformen. Der NASSoC-Generator unterstützt bei der Entwicklung von Hardware-Plattformen, welche auf dedizierte ML-Modelle abgestimmt sind. KI-DataPipe stellt eine Pipeline zur Trainingsdatenerzeugung, insbesondere für KI-basierte Bildverarbeitungs¬algorithmen, bereit.

Antwort auf aktuelle Fragestellungen

Bild 4: Solche Fragen von Ingenieuren als KI-/ML-Anwendern können bisher meist nicht zufriedenstellend beantwortet werden, weil etablierte Vorgehensmodelle, Zuverlässigkeits-Modelle/-Metriken und Prüfverfahren fehlen.
Bild 4: Solche Fragen von Ingenieuren als KI-/ML-Anwendern können bisher meist nicht zufriedenstellend beantwortet werden, weil etablierte Vorgehensmodelle, Zuverlässigkeits-Modelle/-Metriken und Prüfverfahren fehlen.
(Bild: Fraunhofer IOSB)

Neben den rein technischen Aspekten ist KI-Engineering auch das technische Pendant für die in der Ausarbeitung befindliche KI-Verordnung der EU-Kommission. Die KI-Verordnung zielt auf vertrauenswürdige KI und wird dazu ein Regelwerk für den KI-Einsatz gemäß der Risikoeinstufung eines technischen Systems erlassen. CC-KING hat sich zum Ziel gesetzt, dieses Regelwerk über die Systematik des KI-Engineering von vornherein im Design zu berücksichtigen und deren effiziente Umsetzung sicherzustellen.

Ein weiteres Ziel für die nächsten Jahre ist die Frage, wie KI-Verfahren zu nachhaltigen und ressourceneffizienten Produktionssystem sowie zu sicheren und bedarfsgerechten Mobilitätssystemen beitragen kann. Zudem ist das Instrumentarium des KI-Engineering eine Möglichkeit, dem Mangel an KI-Experten zu begegnen. CC-KING widmet sich diesen Fragen in enger Zusammenarbeit mit der Industrie und den Anwendern.

Zusammenarbeit mit CC-KING

Bild 5: Der Transfer der Ergebnisse aus CC-KING in die Unternehmen erfolgt über QuickChecks und TransferChecks.
Bild 5: Der Transfer der Ergebnisse aus CC-KING in die Unternehmen erfolgt über QuickChecks und TransferChecks.
(Bild: Fraunhofer IOSB)

Die Industrie und vor allem kleine und mittelständischen Unternehmen (KMU) sind eingeladen, sich über verschiedene Transferinstrumente an CC-KING zu beteiligen. QuickChecks richten sich an Endkunden und Technologienutzer - wir analysieren, ob und wie Ihre praktischen Fragestellungen mittels KI-Engineering-Methoden bearbeitet werden können. TransferChecks sind ein Angebot für Systemintegratoren und Ingenieurbüros - wir beraten und schulen Sie im systematischen Einsatz von KI-Engineering-Methoden und -Werkzeugen, damit Sie unser Know-how für die Bearbeitung von Fragstellungen Ihrer eigenen Kunden nutzen können. Bewerben Sie sich bitte über die CC-KING-Web-Seite unter https://www.ki-engineering.eu/de/angebote.html.

KI und ML auf dem ESE Kongress 2022

Anmerkung der Redaktion: Den Autor dieses Artikels, Dr. Thomas Usländer vom Fraunhofer IOSB, können Sie auf dem ESE Kongress (5. bis 9.12.2022 in Sindelfingen treffen. Er spricht dort am 7.12. über Systematischer Einsatz von KI-Verfahren in industriellen Anwendungen sowie über entsprechende Methoden und Werkzeuge. Hier geht’s zum Kongressprogramm. (jw)

* Dr. Thomas Usländer leitet am Fraunhofer IOSB die Abteilung Informationsmanagement und Leittechnik ILT sowie das Kompetenzzentrums für KI-Engineering CC-KING.

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