Kolumne Illusionen und ihre Wirkung auf die Projektarbeit
Peter Siwon, ELEKTRONIKPRAXIS-Kolumnist und Experte für systemisches Projektmanagement, über den Knick in der Projekt-Optik.

„Nix G‘wies woaß ma ned“ (Fußnote: bayrisch für „Mit Sicherheit kann man es nicht sagen“) - so lautet eine in Bayern verbreitete Redewendung, wenn es gilt, schwierige Entscheidungen zu treffen. Ähnliche Wendungen dürfte es wohl in jeder Sprache geben. Die Vielfalt von Formulierungen, die menschliche Unsicherheit artikulieren, lässt den Verdacht aufkommen, dass es sich hier um einen sehr verbreiteten Zustand handelt, der natürlich auch nicht vor Projekten haltmacht. Aber das ist Ihnen als Projektinsider ohnehin klar. Ein guter Grund, der Sache auf den psychologischen Grund zu gehen.
Die große Herausforderung bei lukrativen und damit in der Regel komplexen Projekten liegt darin, dass dabei viele Entscheidungen unter unsicheren Rahmenbedingungen getroffen werden müssen. Wir wissen selten, welche Risiken lauern und welche Chancen sich ergeben.
Denn wir haben weder die Mittel und auch nicht die Zeit, das gesamte Für und Wider auf Basis gesicherter Erkenntnisse abzuwägen. Unter vorgehaltener Hand: Manchmal hat man dazu ja auch einfach keine Lust. Was die Angelegenheit noch verzwickter macht, ist, dass uns die Psyche zu allem Übel noch den einen oder anderen Streich spielt. Wir haben quasi einen Knick in der mentalen Projekt-Optik. Dieser Knick kann durch psychischen Druck zur Bruchstelle für unseren Realitätssinn werden.
Das Problem liegt dabei weniger darin, dass wir durch Wettbewerb gezwungen sind, Risiken einzugehen und mit Unsicherheiten umzugehen. No Risk, no Deal! Die Krux ist, dass der Mensch generell dazu neigt, Risiken und Chancen, aber auch Einflussmöglichkeiten intuitiv falsch einzuschätzen und sich dessen dummerweise nicht bewusst ist.
Psychischer Druck, beispielsweise ausgelöst durch harten Wettbewerb, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass wir auf diesem intuitiven Glatteis ins Schleudern kommen. Hier eine kleine Auswahl aus dem Fisimatenten-Repertoire unseres Oberstübchens: Wahrnehmungsverzerrungen, Kontroll-Illusion, Ursache-Wirkungs-Märchen, Rückschaufehler. Das ist wohl gemerkt nur eine kleine Auswahl.
Das Gehirn ist das kritische Organ
Schauen Sie sich im folgenden Bild die dunkleren kreisförmigen Felder an, die einmal von großen und einmal von kleinen kreisförmigen Feldern umgeben sind. Welches Feld im Zentrum erscheint größer? Bevor Sie weiterlesen: Werfen Sie bitte erst einen Blick auf das Bild.
Ein Experiment mit Golfspielern zeigte, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Golfball zu putten, davon abhängt, ob um das Loch die größeren oder kleineren Kreise projiziert wurden, d.h. das Loch als größer oder kleiner eingeschätzt wurde. Tatsächlich sind natürlich die Golflöcher exakt gleich groß. Wo kämen wir da hin, wenn das nicht so wäre? Es handelt sich, Sie haben es sicherlich geahnt, um eine optische Täuschung. Roger Bannister, meines Wissens zwar kein Golfspieler, aber immerhin der erste Mensch, der die Meile unter 4 Minuten lief, sagte einmal treffend: Das Gehirn ist das kritische Organ, nicht das Herz oder die Lunge.
Und wenn unser Kopf meint, es ist schwieriger oder leichter, auch wenn das objektiv nicht stimmt, dann richtet sich der Rest des Körpers danach, ob beim Golf, beim Laufen oder was Sie sonst so treiben. Auf die Projektarbeit übertragen heißt das: Es kann eine große Rolle spielen, ob wir problem- oder chancenorientiert drauf sind, weil das unsere Zuversicht und damit Erfolgswahrscheinlichkeit beeinflusst.
Einflussmöglichkeiten werden oft falsch eingeschätzt
Menschen neigen auch dazu, ihre Einflussmöglichkeiten falsch einzuschätzen. Wer glaubt, dass wir sie konsequent über- oder unterschätzen, irrt. Der Einfluss auf sehr zufallsabhängige Situationen wird eher überschätzt. Intuitiv überschätzen wir beispielsweise unsere Lottochancen. Dagegen wird der Einfluss auf Situationen, die wir vergleichsweise gut beherrschen könnten, wenn wir unser Möglichkeiten ausreizen, meist unterschätzt. Beispiele sind für viele von uns Singen, Jonglieren oder Seiltanzen.
Das heißt aufs Projekt übertragen: Wir sind einerseits zu blauäugig, weil wir unseren Einfluss auf Ereignisse im Projektverlauf überschätzen, die außerhalb unserer Möglichkeiten liegen. Andererseits mangelt es uns an berechtigter Zuversicht, was unsere Fähigkeitsreserven betrifft, die noch in uns schlummern.
Projektmärchen werden gerne geglaubt
Erfolge werden wohl eher selten offiziell mit dem Ausdruck „Schwein gehabt“ kommentiert. Da ist es doch viel seriöser und glaubwürdiger, eine plausible Geschichte zu konstruieren, die zweifelsfrei die Genialität der Projekthelden belegt. So etwas steht dann gerne in Büchern mit Titeln wie „In 5 Schritten zum Projekterfolg“.
Im Gegensatz zu Grimms Märchen werden hier allerdings erzählerische Elemente wie Glück, Zufall, Wunder, Feen oder Zauberei vermieden. Das passt nichts in Genre und würde die tatsächlich berechtigten Zweifel am Realitätssinn der Autoren befeuern. Doch wehe, das Projekt ist gescheitert. Dann konstruieren die Schlaumeier, die angeblich schon immer skeptisch waren, eine ebenso plausible Geschichte des blanken Dilettantismus.
Aus der Perspektive des Ergebnisses lassen sich die angeblichen Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge in der Regel relativ einfach konstruieren. Nachher sind alle schlauer und am schlauesten die, die sich nicht getraut haben, das Risiko einzugehen und eine Chance zu nutzen. Die Dramatik liegt darin, dass diese Ursache-Wirkungs-Märchen geglaubt werden, weil sie plausibel und damit verständlich sind, und nicht weil sie die realen Zusammenhänge erklären. Die Komplexität der Realität überfordert in der Regel unsere Darstellungsfähigkeiten. Im Nachhinein sind wir leider doch nicht so schlau, wie wir uns fühlen.
Unsicherheit macht erst Entscheidungen notwendig
Wie gehen wir nun mit diesen Erkenntnissen um? Ich denke, die oben genannten Beispiele zeigen, dass wir nicht davon ausgehen können, dass wir Chancen, Risiken und unsere Einflussmöglichkeiten realistisch bewerten. Wir müssen aber trotz dieses Knicks in der mentalen Optik sehr oft Entscheidungen treffen, ohne die ganze objektive Wahrheit zu kennen.
Das ist ja der Witz an einer Entscheidung: Wenn die Situation eindeutig und klar wäre, gäbe es ja nichts zu entscheiden. Also kommen wir aus der Nummer mit Fehler, Irrtum und Risiko nicht raus. Wichtig ist jedoch, dass wir uns der Streiche bewusst sind, die uns unsere Psyche spielt, um ihnen etwas entgegenzuwirken.
Hier ein paar Beispiele für simple Maßnahmen: Falls es die Chance gibt, hilfreiche Zahlen, Daten und Fakten zu erheben, dann tun wir das - und zwar mit Augenmaß. Wenn es Zahlen, Daten und Fakten gibt, dann analysieren wir diese auch ernsthaft und stellen so der Intuition den Verstand zur Seite. Wir verzichten auf nachträgliche Besserwisserei und glauben keinen einfachen Ursache-Wirkungs-Märchen mehr (auch nicht den eigenen).
Wir finden stattdessen in dem vollen Bewusstsein, dass es sich lediglich um Erklärungsversuche handeln kann, heraus, was erfolgsversprechend sein könnte. Und wenn es wieder nicht klappt, denken wir uns mit dem, was wir erfahren haben, etwas Neues aus. Wenn es dann klappt, wissen wir zwar nicht, ob die Erklärung realistischer ist, aber sie scheint wenigstens zu helfen. Eine gute Mischung aus Optimismus und Bescheidenheit ist hier angesagt.
Ich freue mich über Ihre Kommentare. Falls Sie noch mehr über das Fisimatenten-Repertoire unserer Psyche wissen wollen, senden Sie mir eine E-Mail mit dem Betreff „Projekt-Optik“ anp.siwon@die-menschliche-Seite.de.
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